Drachenkinder by Lind Hera

Drachenkinder by Lind Hera

Autor:Lind, Hera [Lind, Hera - Drachenkinder]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-12T23:00:00+00:00


25

Katachel. MEIN Dorf.

Nach dem Ausschlafen putzte ich mir die Zähne mit Pepsi (Mineralwasser gab es nämlich nirgendwo zu kaufen), schüttelte Hunderte von Händen, lächelte in Hunderte von neugierigen Gesichtern und versuchte, aus den jeweiligen Verwandtschaftsverhältnissen schlau zu werden. Dann lief ich durch das lehmfarbene Dorf, betrachtete MEINE BRÜCKE nach Katachel Arab, MEINE SCHULE, MEINEN BRUNNEN, also, besser gesagt, die der Katacheler, die ich durch meinen Einsatz ermöglicht hatte. Die vielen Witwen und Waisen winkten und warfen mir Kusshände zu. Und Dadgul war hier der erste Mann am Platz. Jetzt genoss er Respekt und Ansehen, und ich war sein Ehrengast. Mein Herz weitete sich wie ein großer bunter Ballon und wollte vor lauter Stolz und Glück mit mir davonfliegen.

Dadguls riesige Familie hatte mich begrüßt, viele Frauen und junge Mädchen, die einander erschreckend ähnlich sahen: Das ist Lahta, das ist Nasbara, und das ist … Mir schwirrte der Kopf.

Ja, grüßt euch alle miteinander, Mädels, und seid mir nicht böse, wenn ich euch auf Anhieb noch nicht auseinanderhalten kann! Ich werd’s schon noch lernen! Errötend schüttelte ich Hände, tätschelte Kinderwangen, wehrte allzu intime Berührungen der Frauen, die mir auf diese Weise ihre Liebe und Dankbarkeit beweisen wollten, ab.

Das Befremdlichste war jedoch der süßlich-faulige Geruch, gespeist von Abfall, Essensgeruch, Schweiß und Fäkalien. Ups. Mir wurde schon wieder ein bisschen schlecht. Mich überkam ein Pepsi-Rülpser. An das hier würde ich mich erst noch gewöhnen müssen.

»Wer ist denn nun Kandigol?« Ungeduldig stieß ich Dadgul in die Rippen.

Kandigol heißt »Zuckerblume«, und dieses bezaubernde vielbesungene Wesen, die Mutter seiner vier Kinder Palwasha, Anissa, Tadjudin und Aziza, wollte ich doch nun endlich kennenlernen.

Auf Anissa war ich besonders gespannt. Sie war das arme glatzköpfige, zahnlose Wesen mit den Würmern gewesen. »Also. Wo ist deine Zuckerblume Kandigol, und wo sind deine Kinder?«

»Ach, Kandipil!« Dadgul lachte. »Die ist in der Küche!«

»Kandipil? Ich denke, sie heißt Kandigol?!«

»Kandipil heißt ›Zuckerelefant‹«, sagte Dadgul hinter vorgehaltener Hand. Und da kam sie – breit und mächtig, um nicht zu sagen: fett. Da sie die Frau des »Projektleiters« war, hatte sie sich einen sichtbaren First-Lady-Status angefuttert. Sagen wir so: Sie war schon mal magerer gewesen. Es war ihr und ihrer Familie schon mal elender gegangen. Sehr viel elender.

»Hallo, Kandipil!«

Dadgul stieß mich in die Rippen.

»Ähm, Kandigol, was sag ich … Hallooooo, ich bin Sybille, von Dadgul Mama genannt, und ich freu mich ganz wahnsinnig, dass es endlich geklappt hat …«

Kandigol schüttelte mir fest die Hand und umarmte mich rechts und links. Plötzlich nahm ich an ihr mein Duschgel und Shampoo wahr.

»Kandigol? Du hast doch nicht zwei Liter Duschgel und Shampoo über dich geschüttet?« Mein Blick fiel auf ihre Schuhe. »Sag mal, gibt es hier auch ein Schuhgeschäft wie in Wolfsburg, oder sind das … Das sind MEINE Nikes! Und was hat sie da im Mund? Sind das meine Salzstangen? Die hatte ich mir gegen Dünnschiss mitgebracht!«

»Oh! Sie hat wohl deine Sachen ein bisschen inspiziert!« Dadgul lachte. »Das kannst du als großes Kompliment werten! Sie mag dich!«

Tatsächlich. Kandigol hatte sich großzügig an meinem Gepäck bedient – angefangen vom sehr privaten Kopfkissen über Zahnpasta und Zahnbürste bis hin zum letzten Schlüpfer.



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